BT-Kolumne 1: Auftragsmörder und Pädophile

Erschienen am Samstag, 10.11.2018 im Bieler Tagblatt Seite 29 in der Reihe «Gedanken zum Sonntag».

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Bieler Tagblatt Kolumne 1: Auftragsmörder und Pädophile
Bieler Tagblatt, 10.11.2018
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Neulich kam mir wieder die Frage entgegen, ob wir in der Schweiz nicht «unsere christlichen Werte» vermehrt schützen müssten. Ich stelle dann gerne Gegenfragen wie: «Was sind denn christliche Werte?» und «Wieso sind das ‹unsere Werte›?» Gehöre ich als Freidenker, Atheist und Humanist auch zu diesem «wir»?» Unangenehm oft bekomme ich Antworten, die mir zu kurz gedacht sind. Und «Hexenverbrennung» wird nie als christlicher Wert oder Tradition genannt.

 

Klar: Wir müssen Werte wie Solidarität und Meinungsäusserungsfreiheit hochhalten, die Gleichberechtigung der Geschlechter als unverhandelbar herausstreichen und so weiter. Um das zu tun, muss aber weder unsere Gesellschaft noch unser Staatswesen irgendwie christlicher werden. Wenn wir von Menschenrechten, Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit sprechen wollen, dann dürfen wir uns diese nicht als «christliche Werte» verkaufen lassen. Denn allzu viele Freiheitsrechte mussten ja gerade gegen die institutionalisierte Religion erkämpft werden. Wenn wir von Menschenrechten, Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit sprechen wollen, dann nennen wir sie also doch einfach: Menschenrechte, Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit!

 

Der Papst hat tatsächlich das Recht, Schwangerschaftsabbruch mit Auftragsmord gleichzusetzen oder zu vergleichen. Ich habe aber das Recht, solche Rede unangemessen und schädlich zu nennen. Ein gewisser Prophet hat gemäss religiöser Überlieferung eine Sechsjährige geheiratet und mit ihr, als sie dann neun Jahre alt wurde, die Ehe vollzogen. Ob man ihn als Pädophilen bezeichnen dürfe, hat gerade die Gerichte beschäftigt. Unabhängig von Gerichtsurteilen wäre es wertvoll, wenn innerhalb der Religionsgemeinschaften mehr Kritik geübt würde. Und zwar nicht bloss an den eigenen Fundamentalisten, sondern auch an den eigenen Fundamenten. Unsere Werte, jene nämlich, welche für alle gültig sein sollen, sind es wert, dass wir um sie und für sie streiten. Wenn man dabei mit Begriffen wie «Auftragsmörder» oder «Pädophiler» um sich wirft, wird ein krasser Ton angeschlagen. Ein Zeichen einer erwachsenen Öffentlichkeit ist es, wenn auf derlei Anstössiges nicht mit Wut oder gar Gewalt reagiert wird. Wenn die Kritisierten nicht bloss eingeschnappt oder beleidigt reagieren, sondern im besten Sinn: Auch Anstössiges als Denkanstoss verstehen. Als Anlass zu einer Diskussion nehmen, die auch die Andersdenkenden gelten lässt. Das gilt für Befürworter der Fristenlösung genau gleich wie für Muslime. Ideen müssen nicht per se respektiert werden. Ideen haben keine Rechte. Menschen haben Rechte. Menschen haben Respekt verdient. Ideen hingegen, welche keine Kritik vertragen, verdienen meinen Respekt nicht.

Info: Valentin Abgottspon engagiert sich bei der Freidenker-Vereinigung für die Anliegen religionsfrei lebender Menschen. Er arbeitet als Lehrer und als humanistischer Ritualbegleiter. Er lebt in Lyss. Morgen wird Abgottspon in der SRF-Sendung Sternstunde Religion zum Thema Streitfrage Abtreibung zu sehen sein.

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